Neue gesetzliche Rahmenbedingungen für Windenergie
Einleitung: Ein neues Regelwerk für die Windkraft
Das Jahr 2022 markiert einen Wendepunkt für die Windenergie in Deutschland. Mit einer Reihe neuer Gesetze und Verordnungen hat die Bundesregierung einen umfassenden Rechtsrahmen geschaffen, der den Ausbau der Windkraft beschleunigen und bestehende Hemmnisse beseitigen soll. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen und analysiert, welche Auswirkungen diese auf Projektentwickler, Betreiber und Kommunen haben werden.
Der Handlungsdruck ist hoch: Nach einer Phase der Stagnation sollen bis 2030 rund 80% des deutschen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Die Windenergie soll dabei eine Schlüsselrolle spielen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Bundesregierung unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs und der damit verbundenen Energiekrise ein ambitioniertes Gesetzespaket vorgelegt.
Das Wind-an-Land-Gesetz: Mehr Flächen für die Windkraft
Ein zentrales Element der neuen Gesetzgebung ist das sogenannte Wind-an-Land-Gesetz, das im Juli 2022 vom Bundestag verabschiedet wurde. Es sieht vor, dass bis 2032 zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergienutzung zur Verfügung stehen müssen. Dieses Ziel wird über verbindliche Flächenziele für die einzelnen Bundesländer umgesetzt, die stufenweise erreicht werden sollen.
Konkret müssen die Länder bis Ende 2027 mindestens 1,1% und bis Ende 2032 dann 2% ihrer Landesfläche für die Windenergie ausweisen. Für die einzelnen Bundesländer gelten dabei unterschiedliche Quoten, die ihre jeweiligen geografischen und strukturellen Gegebenheiten berücksichtigen:
- Flächenländer wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit guten Windbedingungen müssen überdurchschnittlich viel Fläche bereitstellen (2,2% bzw. 2,5%)
- Waldreiche Länder wie Bayern und Baden-Württemberg haben niedrigere Quoten (1,1% bzw. 1,8%)
- Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen müssen zwischen 0,5% und 0,75% ihrer Fläche ausweisen
Das Gesetz enthält zudem wichtige Regelungen zur Planungsbeschleunigung. Die Länder haben nunmehr die Möglichkeit, eigene Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und Wohngebäuden festzulegen, allerdings nur, wenn sie ihre Flächenziele erreichen. Diese Regelung ersetzt die umstrittene 10H-Regel in Bayern, wonach der Abstand zwischen Windrad und Wohngebäuden mindestens das Zehnfache der Anlagenhöhe betragen musste – was faktisch zum Erliegen des Windenergieausbaus in Bayern geführt hatte.
Das EEG 2023: Höhere Vergütungen und vereinfachte Verfahren
Mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2023) wurden die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Windenergie neu justiert. Die wichtigsten Änderungen umfassen:
Erhöhung der Ausbauziele
Das EEG 2023 sieht vor, dass die installierte Leistung der Windenergie an Land von derzeit rund 56 Gigawatt auf 115 Gigawatt im Jahr 2030 ansteigen soll. Um dies zu erreichen, wird das jährliche Ausschreibungsvolumen deutlich erhöht.
Anpassung der Vergütungssätze
Die Vergütungssätze für Windenergie wurden angehoben, um den gestiegenen Kosten für Rohstoffe, Komponenten und Dienstleistungen Rechnung zu tragen. Bei den Ausschreibungen gelten nun höhere Höchstwerte von 7,3 Cent pro Kilowattstunde für Standardanlagen. Für schwächere Windstandorte gibt es zusätzliche Korrekturfaktoren.
Finanzielle Beteiligung der Kommunen
Die bereits im EEG 2021 eingeführte Möglichkeit, Standortgemeinden finanziell an den Erträgen von Windparks zu beteiligen, wurde im EEG 2023 verbindlicher gestaltet. Betreiber können den Gemeinden entweder direkte Zahlungen von bis zu 0,2 Cent pro Kilowattstunde anbieten oder vergünstigte Stromtarife für Anwohner.
Vereinfachtes Repowering
Für das sogenannte Repowering, also den Ersatz alter Windkraftanlagen durch leistungsstärkere neue Anlagen, wurden vereinfachte Genehmigungsverfahren eingeführt. Bei der Umweltverträglichkeitsprüfung kann nun auf bereits vorliegende Untersuchungen zurückgegriffen werden, was den Prozess erheblich beschleunigt.
Das Windenergie-auf-See-Gesetz: Offensive bei Offshore-Windparks
Auch für die Windenergie auf See wurden die Ausbauziele deutlich angehoben. Das novellierte Windenergie-auf-See-Gesetz sieht vor, die Offshore-Windkapazität von derzeit rund 8 Gigawatt auf mindestens 30 Gigawatt bis 2030, 40 Gigawatt bis 2035 und 70 Gigawatt bis 2045 zu steigern.
Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, wurden mehrere Neuerungen eingeführt:
Beschleunigte Verfahren
Der Flächenentwicklungsplan für die Nord- und Ostsee wird häufiger aktualisiert, und es wurden vereinfachte Genehmigungsverfahren für den Netzanschluss eingeführt. Zudem wurden die Fristen für die Realisierung von Projekten verkürzt.
Zentrale Vergabe von Flächen
Die Bundesregierung hat einen zentralisierten Ansatz für die Vergabe von Offshore-Flächen eingeführt. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) ist nun für die Voruntersuchung potenzieller Standorte zuständig, was den Aufwand für einzelne Projektentwickler reduziert.
Ausschreibungsmodelle
Die Vergabe der Flächen erfolgt über wettbewerbliche Ausschreibungen. Dabei wird zunehmend auf das sogenannte "Differenzkosten-Modell" gesetzt, bei dem Bieter nicht mehr eine feste Vergütung erhalten, sondern die Differenz zwischen Marktpreis und gebotenem Vergütungssatz.
Das LNG-Beschleunigungsgesetz: Implikationen für Genehmigungsverfahren
Obwohl primär für den Bau von LNG-Terminals (Flüssigerdgas) konzipiert, hat das LNG-Beschleunigungsgesetz auch Auswirkungen auf Genehmigungsverfahren für Windparks. Es enthält grundlegende Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung, die als Blaupause für weitere Reformen dienen können, etwa:
Verkürzte Fristen: Für die Beteiligung der Öffentlichkeit und von Behörden wurden die Fristen verkürzt.
Verzicht auf bestimmte Verfahrensschritte: Unter bestimmten Bedingungen kann auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden.
Sofortvollzug: Genehmigungen können auch bei anhängigen Klagen umgesetzt werden.
Diese Ansätze haben Modellcharakter für die geplante Reform des Genehmigungsrechts, die auch den Windenergieausbau beschleunigen soll.
Das Osterpaket: Erneuerbare Energien im "überragenden öffentlichen Interesse"
Das als "Osterpaket" bekannt gewordene Gesetzespaket enthält eine für die Genehmigungspraxis besonders wichtige Regelung: Es definiert die Nutzung erneuerbarer Energien als im "überragenden öffentlichen Interesse" liegend und der öffentlichen Sicherheit dienend.
Diese Formulierung hat erhebliche Auswirkungen auf Abwägungsprozesse bei Genehmigungsverfahren. Bei Konflikten mit anderen Schutzgütern – etwa dem Landschafts- oder Artenschutz – erhalten erneuerbare Energien nun ein höheres Gewicht. Dies dürfte zu einer deutlichen Beschleunigung von Genehmigungsverfahren führen.
Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch: Ende der pauschalen Abstandsregelungen
Eine weitere wichtige Änderung betrifft die Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch, die es den Bundesländern bisher ermöglichte, pauschale Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und Wohngebäuden festzulegen. Diese Klausel wurde modifiziert:
Bundesländer können weiterhin Mindestabstände festlegen, müssen dann aber sicherstellen, dass sie ihre Flächenziele für die Windenergie erreichen. Tun sie dies nicht, werden die Abstandsregelungen automatisch außer Kraft gesetzt. Diese Regelung zielt insbesondere auf Bayern ab, wo die 10H-Regel den Windenergieausbau praktisch zum Erliegen gebracht hatte.
Artenschutzrechtliche Neuerungen: Standardisierung und Vereinfachung
Ein weiteres wesentliches Hindernis für den Windenergieausbau waren in der Vergangenheit langwierige artenschutzrechtliche Prüfungen. Die neue Gesetzgebung sieht hier verschiedene Vereinfachungen vor:
Standardisierung der Prüfverfahren
Für bestimmte besonders windkraftsensible Vogelarten wurden bundeseinheitliche Prüfmethoden und Signifikanzschwellen eingeführt. Dies erhöht die Rechtssicherheit und reduziert den Prüfaufwand.
Artenhilfsprogramme
Anstelle individueller Ausgleichsmaßnahmen für jedes einzelne Projekt können Bundesländer nun Artenhilfsprogramme auflegen. Betreiber von Windkraftanlagen zahlen in einen Fonds ein, aus dem dann überregionale Schutzmaßnahmen finanziert werden.
Ausnahmetatbestände
Die Voraussetzungen für artenschutzrechtliche Ausnahmen wurden neu geregelt. Der Betrieb von Windkraftanlagen in ausgewiesenen Vorranggebieten kann nun leichter genehmigt werden, auch wenn bestimmte Arten betroffen sind, sofern der Erhaltungszustand der Population nicht gefährdet wird.
Praxisauswirkungen und Bewertung der neuen Regelungen
Die beschriebenen gesetzlichen Änderungen haben weitreichende Auswirkungen auf alle Akteure im Bereich der Windenergie:
Projektentwickler und Betreiber
Für Projektentwickler und Betreiber von Windkraftanlagen verbessern sich die Rahmenbedingungen deutlich. Die höheren Vergütungssätze und vereinfachten Genehmigungsverfahren erhöhen die Wirtschaftlichkeit und Planungssicherheit. Zugleich steigen aber auch die Anforderungen an die Umsetzungsgeschwindigkeit und die Beteiligung der Kommunen.
Kommunen und Anwohner
Kommunen erhalten durch die verpflichtende finanzielle Beteiligung zusätzliche Einnahmen aus Windparks, was die lokale Akzeptanz fördern kann. Gleichzeitig haben sie durch die Flächenziele weniger Möglichkeiten, Windenergieprojekte grundsätzlich zu verhindern.
Umwelt- und Naturschutzorganisationen
Für Umwelt- und Naturschutzorganisationen sind die Neuerungen ambivalent. Einerseits wird der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt, was dem Klimaschutz dient. Andererseits sehen viele die vereinfachten Artenschutzregelungen kritisch und befürchten negative Auswirkungen auf geschützte Arten.
Herausforderungen und offene Fragen
Trotz der umfassenden Neuregelungen bestehen weiterhin Herausforderungen und offene Fragen:
Umsetzung durch die Bundesländer
Ein entscheidender Faktor wird sein, wie die Bundesländer die neuen Vorgaben umsetzen. Insbesondere die Ausweisung der Windenergiegebiete liegt in ihrer Verantwortung. Es bleibt abzuwarten, ob alle Länder ihre Flächenziele tatsächlich erreichen werden.
Gerichtliche Überprüfung
Einige der neuen Regelungen, insbesondere im Bereich des Artenschutzes, werden voraussichtlich gerichtlich überprüft werden. Es ist nicht auszuschließen, dass einzelne Bestimmungen von den Gerichten als nicht vereinbar mit europäischem Recht eingestuft werden könnten.
Praxistauglichkeit
Die praktische Umsetzbarkeit der neuen Regelungen muss sich noch erweisen. Insbesondere die personelle Ausstattung der Genehmigungsbehörden könnte zum Flaschenhals werden.
Fazit: Ein wichtiger Schritt, aber kein Allheilmittel
Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen stellen einen wichtigen Schritt zur Beschleunigung des Windenergieausbaus in Deutschland dar. Sie adressieren viele der bisher bestehenden Hemmnisse und schaffen verbesserte wirtschaftliche Anreize.
Dennoch bleiben Herausforderungen bestehen: Neben der konsequenten Umsetzung durch die Bundesländer und Kommunen wird es auch darauf ankommen, die gesellschaftliche Akzeptanz für die Windenergie weiter zu stärken und die praktische Umsetzung der vereinfachten Verfahren zu gewährleisten.
Insgesamt lässt sich festhalten: Die Weichen für einen beschleunigten Ausbau der Windenergie sind gestellt. Ob die ambitionierten Ziele tatsächlich erreicht werden können, wird jedoch nicht allein von den gesetzlichen Rahmenbedingungen abhängen, sondern auch von der konkreten Umsetzung vor Ort und der Bereitschaft aller Beteiligten, den Transformationsprozess konstruktiv zu begleiten.